zurück
Karoline von Günderrode
Mahomets Traum in der Wüste
Bei des Mittags Brand
Wo der Wüste Sand
Kein kühlend Lüftchen erlabet,
Wo heiß, vom Samum nur geküsset,
Ein grauer Fels die Wolken grüßet
Da sinket müd der Seher hin.
Vom trügenden Schein
Will der Dinge Seyn
Sein Geist, betrachtend hier, trennen.
Der Zukunft Geist will er beschwören,
Des eignen Herzens Stimme hören,
Und folgen seiner Eingebung.
Hier flieht die Gottheit,
Die der Wahn ihm leiht,
Der eitle Schimmer verstiebet.
Und ihn, auf den die Völker sehen,
Den Siegespalmen nur umwehen,
Umkreist der Sorgen dunkle Nacht.
Des Sehers Traum
Durchflieget den Raum
Und all' die künftigen Zeiten,
Bald kostet er, in trunknem Wahne,
Die Seligkeit gelung'ner Plane,
Dann sieht er seinen Untergang,
Entsetzen und Wuth,
Mit wechselnder Fluth,
Kämpfen im innersten Leben,
Von Zweifeln, ruft er, nur umgeben!
Verhauchet der Entschluß sein Leben!
Eh' Reu ihn und Mißlingen straft.
Der Gottheit Macht,
Zerreiße die Nacht
Des Schicksals, vor meinen Blicken!
Sie lasse mich die Zukunft sehen,
Ob meine Fahnen siegreich wehen?
ob mein Gesetz die Welt regiert?
Er sprichts; da bebt
Die Erde, es hebt
Die See sich auf zu den Wolken,
Flammen entlodern den Felsenklüften,
Die Luft, erfüllt von Schwefeldüften,
Läßt träg die müden Schwingen ruhn.
Im wilden Tanz,
Umschlinget der Kranz
Der irren Sterne, die Himmel;
Das Meer erbraußt in seinen Gründen,
Und in der Erde tiefsten Schlünden
Streiten die Elemente sich.
Und der Eintracht Band,
Das mächtig umwand
Die Kräfte, es schien gelöset.
Der Luft entsinkt der Wolken Schleier
Und aus dem Abgrund steigt das Feuer,
Und zehret alles Ird'sche auf.
Mit trüberer Fluth
Steigt erst die Gluth,
Doch brennt sie stets sich reiner,
Bis hell ein Lichtmeer ihr entsteiget
Das lodernd zu den Sternen reichet
Und rein, und hell, und strahlend wallt.
Der Seher erwacht
Wie aus Grabesnacht
Und staunend fühlt er sich leben,
Erwachet aus dem Tod der Schrecken,
Harr't zagend er, ob nun erwecken
Ein Gott der Wesen Kette wird.
Von Sternen herab
Zum Seher hinab
Ertönt nun eine Stimme:
»Verkörpert hast du hier gesehen
Was allen Dingen wird geschehen
Die Weltgeschichte sahst du hier.
Es treibet die Kraft
Sie wirket und schafft,
In unaufhaltsamem Regen;
Was unrein ist das wird verzehret,
Das Reine nur, der Lichtstoff, währet
Und fließt dem ew'gen Urlicht zu.«
Jetzt sinket die Nacht
Und glänzend ertagt
Der Morgen in seiner Seele.
Nichts! ruft er, soll mich mehr bezwingen:
Daß Licht nur werde! sey mein Ringen,
Dann wird mein Thun unsterblich seyn.
Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe als
Tochter eines badischen Kammerherren geboren. Der Vater verstarb
1786,
die Mutter siedelte dann mit Karoline und ihren vier Geschwistern
(drei
Schwestern und ein Bruder)
nach Hanau, in die Nähe ihrer Eltern um. Mit siebzehn Jahren trat
Karoline auf Wunsch ihrer
Mutter in das Cronstetter-Hynspergische Stift für adelige Damen in
Frankfurt am Main ein. An einer Versorgung durch Heirat hatte
Karoline
von Günderrode kein Interesse. 1801 schrieb sie an die
jüngere
Schwester von Clemens Brentano, Gunda: "Schon oft hatte ich den
unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtengetümmel zu
werfen,
zu sterben. Warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für
weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde,
Große,
Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges, aber
unverbesserliches
Mißverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so
bleiben, denn ich
bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft.
Darum
bin ich so wechselnd, und so uneins mit mir (...)."
1799 lernte sie Friedrich Carl von Savigny kennen, mit dem sie
später
wohl eine kurze Liebesaffäre hatte, der dann allerdings 1803 Gunda
Brentano heiratete. 1804 begegnete Karoline von Günderrode in
Heidelberg dem mit einer dreizehn Jahre älteren Frau verheirateten
Philologen und Mythenforscher Georg Friedrich von Creuzer. Es
entwickelte sich eine Beziehung, die Creuzer zwei Jahre später
schriftlich beendete. Karoline erhielt seine Nachricht am 26. Juli
1806. In der darauf folgenden Nacht erstach sie sich mit einem
Messer
am Ufer des Rheins bei Winkel.
Unter dem männlichen Pseudonym "Tian" veröffentlichte
Karoline von
Günderode 1804 "Gedichte und Fantasien", 1805 den Gedichtband
"Poetische Fragmente" sowie die Dramen "Uhdohla", "Magie und
Schicksal"
und "Mahomed". "Mahomets Traum in der Wüste" erschien im Band
"Gedichte
und Fantasien".
Die Seher-Figur begegnet bei Friedrich Schleiermacher, mit dessen
Schriften sich Günderrode, gemeinsam mit Bettina Brentano, der
innigen
Jugendfreundin, intensiv beschäftigt hatte. Was der Seher
prophezeit,
ist ein kommendes Goldenes Zeitalter, er verfügt über die
"Wahnsagekunst", wie Schleiermacher "manik" übersetzt, daher der
"Wahn"
in der dritten Strophe. Dass Günderrode Mahomet als diesen Seher
wählt,
erklärt sich aus der Mohammed-Begeisterung der Zeit um 1800.
Mohammed
galt als Religionsstifter, der nicht nur mit Worten, Wundertaten und
Erleiden wie Christus, sondern durch aktives Eingreifen in das
politisch-gesellschaftliche Geschehen Zukunft gestalten wollte. Auch
Goethe hatte ein Mohammed-Drama in Arbeit, kam aber nicht über
Fragmente hinaus.
Literarisch kann mich das Gedicht nicht überzeugen, doch als
Kulturdokument ist es zweifellos von ganz erheblicher Bedeutung,
zumal
zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wo die Bedeutung des Islam für
Europa
erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt.
zurück